So, gerade wieder zuhause angekommen.
Puh, viele Eindrücke – und ich weiß gar nicht so richtig, was ich von ihrem Zustand halten soll. Insgesamt war es schon erschütternd zu sehen, wie eine vitale und lebenslustige Frau innerhalb einiger Monate derart abbauen kann, aber es gab durchaus auch positive Momente.
Als ich ankam, musste ich mich zunächst in ihre richtige Wohngruppen-Etage durchfragen, denn entgegen ihrer Nachricht war sie nicht unten im Besprechungsraum beim Singen. Ich habe sie auf dem Gang ihrer Etage aber dann direkt erkannt und sie mich auch. Freundlich begrüßt, aber sie hat mich konsequent gesiezt und meinen Namen nie genannt. Vermutlich wird sie von selbst nicht mehr darauf kommen. Sie schlurfte in langsamem Tempo durch den Gang und wir haben uns schließlich zwischen die anderen Bewohnerinnen (ich habe ausschließlich Frauen auf dieser Etage gesehen) in den Aufenthaltsraum gesetzt. Das fand ich erst ein bisschen komisch in so "ungeschützter" Atmosphäre, aber ich war schnell sehr dankbar dafür. Ich hatte schon damit gerechnet, dass sie mich nichts fragen würde (was hat sie mich früher immer gelöchert …). Aber auch auf meine Fragen, wie es ihr geht, wie es ihr hier gefällt, nach ihren Kindern und Enkeln etc. hat sie immer nur kurz geantwortet bzw. ich glaube sie hat nie einen einzigen Satz zuende gesprochen, da ihr die Wörter und Formulierungen ausgingen. Sie griff sich dann immer an den Kopf und murmelte, dass sie keine Gedanken mehr artikulieren kann. Ich habe natürlich versucht ihr bestmöglich zu helfen und ihr Namen und naheliegende Aussagen zu "servieren". "Ja ja, genau", kam immer als bestätigende Antwort.
Sie erzählte mir mindestens dreimal, dass eine ihre Töchter (sie wohnt hinter Ludwigshafen) natürlich nicht ganz so oft kommen kann wie die andere Tochter, die hier im Umkreis lebt. Ihre drei Enkel besuchen sie auch regelmäßig (mit dem ältesten ist sie 2021 noch alleine nach Ibiza geflogen, alles selbstorganisiert), aber sie hätte alle Enkel am liebsten jeden Tag da. Den Namen der dritten Enkelin wusste ich nicht mehr, aber den konnte sie mir korrekt nennen. "Ja, die studieren alle noch", Genaueres konnte sie nicht formulieren. Im nächsten Satz dann: "Der L., der ist ja schon fertig mit dem Studium …"
Fünf Minuten fühlten sich an wie eine Stunde und ich war froh, dass mir immer mal wieder noch ein kurzes Gesprächsthema einfiel und die Mitbewohnerinnen nach und nach sich auch ins Gespräch einklinkten, was das Ganze sehr aufgelockert hat. Ihre Schwester sei gestern zu Besuch gewesen. Ich habe dann erzählt, dass ich ihre Schwester schon länger nicht mehr im Gottesdienst gesehen hätte. Dann ihr heller Moment: "Ja, es ist ja auch noch Winter. Sie fährt ja im Dunklen nicht mehr gerne Auto und kann dann nicht zur Kirche fahren." – Ich erinnere mich, dass mir das die Schwester selbst sogar mal erzählt hatte und scherzte: "Sehen Sie, ich vergesse auch mal was!" Darüber hat sie sich regelrecht gefreut und sich kaputtgelacht. Auf meine Frage, was das Pflegeheim denn für Freizeitangebote mache, erzählte sie, dass seit Neuestem alle zwei Wochen jemand kommt und mit ihnen Lieder singt. Das mache großen Spaß (q.e.d., Glückskind!), aber ansonsten sei hier nicht viel los und es eher langweilig. Die Mitbewohnerinnen widersprachen teilweise und eine stubste ihr mit den Worten "Du bist aber auch immer so ungeduldig und nervös" in die Seite. Ja, stimmt, das war sie auch früher schon …
Auf einmal stand sie ohne etwas zu sagen auf und ging über den Gang. Ich bin am Tisch geblieben, habe sie aber im Blick behalten. Kurz vor Erreichen ihrer Zimmertür drehte sie um und kam wieder zurück. "Ich will Ihnen ja auch was anbieten, aber …" und der Satz endete wieder im verzweifelten Seufzen nach fehlenden Formulierungen. Ich habe geantwortet, dass ich gerade nichts brauche und mich ohnehin gleich auf den Weg zum Gottesdienst machen müsste. (Ich hätte locker noch etwas Zeit gehabt, aber habe gespürt, dass es für uns beide jetzt genug war.) Mitfahren wollte sie nicht, was ich – insgeheim dankbar – natürlich auch akzeptiert habe.
Nachdem ich mich von ihr und den anderen Bewohnerinnen verabschiedet hatte, wollte sie mir noch kurz ihr Zimmer zeigen: Ein relativ kleines Eckzimmer mit Einzelbett, kleinem Schreibtisch, Sessel, Fernseher, Schrank, Kommode sowie einem behindertengerechten Bad. Sie hat sich nochmals für mein Kommen, den Saft und die Schokolade bedankt und dann bin ich gegangen.
Ich war 40 Minuten da, aber es kam mir deutlich länger vor. Ich hatte oft den Eindruck, dass ihr ihre Defizite ziemlich genau bewusst sind. Das muss sehr schlimm sein. Sie sei hier gut aufgehoben, aber "es ist halt nicht mehr wie daheim". Ich fand den Besuch ziemlich anstrengend, aber ich bin froh, dass es heute geklappt hat und werde es bei Gelegenheit mal wiederholen. Ich hatte schon immer Respekt vor Personen, die demente Menschen betreuen und pflegen müssen. Der hat sich heute aber nochmal vergrößert.
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